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DIE LINKE und der Ukrainekrieg

Um es vorweg zu sagen: Auch ich lehne die Lieferung so genannter „schwerer Waffen“ an die Ukraine ab, aus historischen Gründen, weil ich keine sicheren Transportwege für diese Waffen sehe, aber auch, weil Deutschland mit seinen Lagerungsorten US-amerikanischer Atomsprengköpfe in Gefahr läuft, zum Angriffsziel der russischen Föderation zu werden.

Der Krieg in der Ukraine streift Politikfelder, die in der LINKEN ungelöst sind, weil sie bisher ungenügend Entwicklungen und Veränderungen der Kräfteverhältnisse im europäischen wie im globalen Rahmen zur Kenntnis genommen und reagiert hat. Ein Teil der heutigen, vor allem älteren LINKEN wurzelt in der Friedensbewegung der 1980er und folgenden Jahre. Sie hat die 2011 auf dem Erfurter Parteitags im Grundsatzprogramm formulierten friedenspolitischen Positionen der LINKEN geprägt und tut dies bis heute. Es handelt sich um pazifistische Grundhaltungen, die – wie wir heute zur Kenntnis nehmen müssen –, einer ganz bestimmten historischen Situation entsprachen: der „kalte Krieg“, die Spaltung der Welt in zwei konkurrierende Machtblöcke, das daraus resultierende Wettrüsten zwischen Ost und West und die mit der Entwicklung neuer atomarer Trägersysteme – Pershing auf amerikanischer und SS 20 auf sowjetischer Seite – verbundene Gefahr eines Atomkriegs mit Europa als Austragungsort. Die Friedensbewegung entwickelte unter diesen Bedingungen eine Perspektive der Entspannung, Entmilitarisierung und Abrüstung, vor allem atomarer Waffensysteme. Dem Pazifismus der Friedensbewegung lag jedoch die Überzeugung zugrunde, dass von der Sowjetunion und der mit ihr verbündeten Staaten keine wirkliche Kriegsgefahr für Westeuropa ausgeht. („Stell‘ dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin …“) Die westlichen Staaten, insbesondere die NATO unter Anführung der USA unterstellten dies jedoch aus eigenem imperialistischem Machtstreben heraus der Gegenseite, um die eigene Aufrüstung zu legitimieren. In diesem Kontext steht die Ablehnung der von den USA dominierten NATO und ihrer Aufrüstungsbestrebungen – bis heute das weit über die LINKE hinaus abgelehnte 2%-Ziel der NATO.

Doch die Verhältnisse haben sich geändert. Während wir uns weiterhin auf die NATO als vermeintlichen globalen Hauptaggressor fixierten, ist uns entgangen, dass die heutige russische Föderation weltpolitisch ganz andere Prioritäten setzt als die damalige Sowjetunion, die eine grundsätzliche Bereitschaft zur Begrenzung des Wettrüstens, zu Frieden und Kooperation im Interesse der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung hatte. Es bestand obendrein die Annahme, dass die Bevölkerung der Sowjetunion aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs heraus eine grundsätzlich dem Frieden zugeneigte Haltung habe, dass sich dies auch in der Politik wiederfinden würde, und dass diese Grundhaltung in der heutigen russischen Konföderation irgendwie weiter bestehe. (Ausdruck hierfür ist das von Jewgeni Jewtuschenko 1961 verfasste Antikriegslied „Meinst du, die Russen wollen Krieg …“)

 

Nun sehen wir eine ganz andere russische Konföderation, die die Phase der Öffnung, des Dialogs und der Kooperation im Gorbatschowschen Sinne ad acta gelegt hat, ein Staatsgebilde mit zunehmender innenpolitischer Repression, der Ausschaltung der Opposition, fehlender Rechtssicherheit, mit Mordanschlägen gegenüber Oppositionellen, der Behinderung bis Ausschaltung von Nichtregierungsorganisationen wie Memorial und Petersburger Dialog, der Schaffung von Feindbildern (ausländische Agenten, westliche Dekadenz), Homophobie, Misogynie und nationalem Chauvinismus. Dieses Regime zeigt nun auch Westeuropa sein außenpolitisches Gesicht in Form eines verbrecherischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Während wir die NATO-Osterweiterung beklagten, ist uns entgangen, dass Russland seit Jahren schon Kriege führt, um sich ehemals sowjetische Gebiete widerrechtlich einzuverleiben, wie die Krim und Teile Georgiens, vor keiner Brutalität und Zerstörung zurückschreckt, in Tschetschenien Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, sich mit militärischem Einsatz Einflusszonen sichert wie im Irak und in Syrien mit der Protektion des Assad-Regimes.

 

Die NATO-Osterweiterungen – 1999 schon Polen, Tschechien und Ungarn, 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Slowenien – hatten erstmal keine weiteren Folgen für die innereuropäischen Beziehungen.

 

Bewährte Formate wie beispielweise der Petersburger Dialog, wurden erst Ende 2020 ausgesetzt, nachdem im Dezember 2020 die Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft des Forums Gesetzesentwürfe kritisierte, welche zum Ziel hatten, dass Nichtregierungsorganisationen von den russischen Behörden als „ausländische Agenten“ zu betrachten sind. Im Februar 2021 verurteilte die Versammlung der deutschen Mitglieder des Petersburger Dialogs das Gerichtsurteil gegen Alexej Nawalny und die Verhaftung friedlicher Demonstranten. Im Mai 2021 wurden schließlich Mitgliedsorganisationen des Petersburger Dialogs als „Unerwünschte Organisationen“ eingestuft, womit die Ausschaltung dieses zivilgesellschaftlichen Forums besiegelt sein dürfte.

Die NATO hatte indessen an Bedeutung verloren. Selbst Deutschland ging nur zögerlich an das von den USA erwartete 2%-Ziel. Der französische Präsident Macron betrachtete im November 2019 die NATO als „hirntot“ und auch das Interesse der USA an der NATO ließ unter Trump merklich nach. Die Kriege der letzten 30 Jahre wurden nicht von der NATO als solcher, sondern von westlichen Bündnissen unter Anführerschaft der USA (Irak, Afghanistan, Kosovo) und Frankreichs (Lybien) geführt. Forderungen in der LINKEN nach Auflösung der NATO waren damit nicht gerade in greifbarer Nähe, aber doch im Bereich des Denkbaren angekommen.

Nun kippt die unter anderen historischen Umständen angemessene friedenspolitische Haltung ins Widersinnige: Teile der Friedensbewegung und der LINKEN geraten mit ihrer gebetsmühlenartig vorgetragenen Kritik an der NATO-Osterweiterung in die missliche Lage, ihrerseits dem Regime Putin Argumente für die Rechtfertigung des verbrecherischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu liefern.

 

Die wirklichen Motive des Putin-Regimes für diesen Angriffskrieg kennen wir nicht. Zieht man das von der russischen Propaganda bemühte Motiv der Furcht vor der NATO-Osterweiterung in Betracht, kann man sich nur wundern, weil durch den Überfall auf die Ukraine bisher traditionell neutrale Staaten mit Grenzen zu Russland wie Schweden und Finnland nun auch in die NATO streben, andere wie Moldawien und Georgien, nicht zuletzt die Ukraine selbst, in ihren Wunsch nach Integration in die EU und in westliche Bündnisse nur bestärkt werden. Folgt man dieser Sicht, wäre der russische Angriffskrieg doch ausgesprochen kontraproduktiv. Es ist des Weiteren die Rede von imperialistischen Motiven, dem Bestreben, das Territorium der ehemaligen Sowjetunion unter die Herrschaft der russischen Konföderation zu bringen. Es ist die Rede vom „imperialen Phantomschmerz“ (Herfried Münkler) in Bezug auf die „abtrünnigen“, das heißt westlichen Bündnissen zugeneigten Staaten. Putins Auslassungen zur russischen Geschichte sprechen für diese Annahme, auch die Betonung der wirtschaftlichen Autarkie des rohstoffreichen Landes. Aber was nützen dem „Imperium“ die hohen menschlichen Verluste, zerstörte Städte und Industrieanlagen, Verwüstungen und über Generationen weiter gegebener Hass gegen die Aggressoren und nicht zuletzt eine ebenso in Kauf genommene wirtschaftliche Rückständigkeit?

Ein anderer Aspekt wird wenig in Betracht gezogen, obwohl er sowohl zeitlich wie politisch naheliegt: Die lautstarken oppositionellen Bewegungen in Belarus und Kasachstan, die mit ihren liberalen Forderungen gegen Korruption, für Transparenz und demokratische Freiheiten die autoritär herrschenden Regierungen in Frage stellen und die auf die russische Konföderation überspringen könnten. Dieses Problem hat auch die chinesische Regierung Xi Jinping in Bezug auf Hongkong und Taiwan.

Liegt es nicht nahe, dass der Krieg gegen die Ukraine im Grunde innenpolitische Motive hat? Die Aushöhlung der Gewaltenteilung, das der Regierung zunehmend untergeordnete Rechtswesen, die Unterdrückung der Opposition, die völlige Abschaffung der Presse- und Demonstrationsfreiheit, das Einschwören auf eine nationalistische, großrussische Ideologie, die Instrumentalisierung der orthodoxen Kirche für konservative Lebensformen, Homophobie und Misogynie uns so weiter und so fort, lässt sich unter Kriegsbedingungen mit bedrohlichen Feindbildern rechtfertigen. Außenpolitisch gesehen kann es durchaus die Absicht des Putin-Regimes sein, aus eigenem Herrschaftsinteresse heraus mittels des Ukraine-Kriegs geschlossene Grenzen zum übrigen Europa zu schaffen, Systemgrenzen – diesmal autoritärer, präfaschistischer Staaten zu den liberalen Demokratien Westeuropas.

 

Sicher ist: Ohne die neuen Realitäten in Europa und in der Welt anzuerkennen und ihre politischen Positionen gegenüber der EU und auch der NATO neu auszurichten, wird es keine realitätstüchtige LINKE geben.

 

© Brigitte Forßbohm

Bild: pixabay, Friedenstaube

 

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Die LINKE und der Ukrainekrieg
Der Krieg in der Ukraine streift Politikfelder, die in der LINKEN ungelöst sind, weil sie bisher ungenügend Entwicklungen und Veränderungen der Kräfteverhältnisse im europäischen wie im globalen Rahmen zur Kenntnis genommen und reagiert hat ...
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Kommentare: 4
  • #1

    Fred Schumacher (Freitag, 24 Juni 2022 20:19)

    27.000 hauptberufliche Propagandamitarbeiter im Pentagon, welche die Welt täglich mit ihren Falschmeldungen und Verdrehungen der Realitäten wie z.B. über Syrien, Irak, die angebliche Verteidigungsmacht NATO, den angeblichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine unter Verschweigen der tatsächlichen 2014er Maidanereignisse und des anschließenden ununterbrochenen Vernichtungskriegs gegen den Donbass durch das Kiewer Faschistenregime überschütten: Schade, dass Mitglieder einer Partei, die sich "Die Linke" nennt, auf diese Dauer-Propaganda reinfällt.

  • #2

    Fred Schumacher (Freitag, 24 Juni 2022 20:21)

    ... reinfallen. Hab mich verschrieben.

  • #3

    Brigitte Forßbohm (Samstag, 25 Juni 2022 10:54)

    @ Fred Schumacher: Schade, dass Leute wie du auf die großangelegte russische Propaganda reinfallen, der bestimmte "Linke" ... mit solchen Erzählungen das Material liefern.

  • #4

    Bernd Brincken (Mittwoch, 20 Dezember 2023 15:20)

    Vorerst dazu nur eine kurze Antwort - Wir als deutsche Partei LINKE haben kein Mandat, als Intermediär zwischen geopolitischen Akteuren zu agieren, das wären die UN-Vollversammlung oder auch -Sicherheitsrat. Die Linke hat auch keinen Vertrag mit dem Kreml, oder Kanal dorthin (anders als vielleicht die DKP zu DDR-Zeiten). Es gibt da keinen politischen Wirkwiderstand.
    Andersherum - ich war seit 1996 öfter in Russland, und unterhalte Kontakte - interessiert sich im Lande und absehbar auch im Kreml niemand dafür, wer wofür auf deutschen Straßen demonstriert oder in Parlamenten argumentiert - der LINKE hört da einfach niemand zu. Auch halboffizielle Organisationen wie der Peterburger Dialog wurden zwischenzeitlich gestoppt, das Deutsch-Russische Forum hat sich abgemeldet usw.
    Beschlüsse der LINKE zum Thema Ukraine (wie neulich G.03 und G.04 auf dem Augsburger Parteitag) sowie Aktionen wie Demos _können_ sich daher, in dieser Reihenfolge, nur an diese Zielgruppen richten:
    1. Die deutsche Regierung und den Bundestag
    2. NATO-Partner, in der EU, vor allem aber die USA, den größten Unterstützer der Ukraine
    3. Die Regierung der Ukraine, die Deutschland mit viel Geld, Waffen und auch politisch unterstützt
    und dann erst am Ende, leider:
    xx. Zivilgesellschaft in Russland und Ukraine, mit dem Ziel, jeweils von innen Friedenslösungen zu fordern.