Mehr Sicherheit durch Dark Eagle?

In Wiesbaden ist das 56. Artilleriekommando der US Army stationiert. Es ist das Gleiche, das in den 1980er Jahren für die Mittelstreckenrakete Pershing II zuständig war und mit dem Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen im INF-Vertrag 1991 außer Dienst gestellt wurde. Es wurde 2021 reaktiviert. Ist dadurch eine neue Sicherheitlage in Wiesbaden entstanden? Wie ist sie zu beurteilen?

Als die 2. Multi-Domain Task Force (MDTF) der US Army 2021 in Wiesbaden eingerichtet wurde, hat dies in unserer Stadt große Bedenken ausgelöst. Umso mehr waren wir geschockt, als im Juli 2024 am Rande des Nato-Gipfels in einer gemeinsamen deutsch-amerikanischen Erklärung die Absicht der Stationierung von US Lang- und Mittelstreckenraketen in Deutschland bekanntgegeben wurde. Es handelt sich um eine rein bilaterale Erklärung seitens Deutschlands und den USA. Im Nato-Kommuniqué vom 12. Juli 2025 wird die Stationierungsentscheidung nicht erwähnt.

Kein Dialogangebot an Moskau

Bemerkenswert ist auch, dass anders im Natodoppelbeschluss zu Pershing II 1979, kein Dialogangebot in Richtung Moskau erfolgt ist. Kein anderes europäisches Land will diese Waffen stationieren.

Bei den zu stationierenden Waffen handelt es sich um drei Typen von „Long Range Fires“(LRF), und zwar die Standardrakete SM-6 mit 500 km Reichweite, den Marschflugkörper Tomahawk mit 1700 km Reichweite und die Hyperschallrakete Dark Eagle mit 3000 km Reichweite, die der MDTF in Wiesbaden zugeordnet werden sollen. Dark Eagle befindet sich noch in der Entwicklung. Logistische Details und wieviele dieser Waffen stationiert werden sollen, ist bisher nicht bekannt. Oberst a. D. Wolfgang Richter, Autor der Studie über die Stationierung von Mittelstreckenraketen der Friedrich-Ebert-Stiftung, geht davon aus, dass es ich um drei bis fünf Batterien handelt. Damit könnten in einer Serie ohne Nachladung 40 bis 60 Raketen verschossen werden.

Es fehlt nicht an Begründungen, die seitens der Bundesregierung, der Bundeswehr, und anderen Stellen geliefert werden. Immer wieder ist die Rede von einer „Fähigkeitslücke“, besonders im Hinblick auf die in Kaliningrad stationierten russischen Iskander-Raketen. (Kaliningrad ist ca. 750 km von Berlin entfernt.) Diese haben aber nur eine Reichweite von 500 km.

Die Behauptung der „Fähigkeitslücke“ ist mittlerweile schlüssig widerlegt worden, so von Oberst a. D. Richter in seiner Studie 1) und auch in der Greenpeace herausgegebenen Studie Wann ist genug genug? 2) Auch der Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine überzeugt nicht, da die MDTF, das Kommando für die neuen Waffen schon 2021 eingerichtet wurde.

 

2021: Sollen bodengestützte Hyperschallraketen in Wiesbaden stationiert werden?

Ende 2021 stellte sich schon die Frage, ob die USA neue, bodengestützte Langstreckenraketen, insbesondere Hyperschallraketen in Wiesbaden stationieren könnten. Dies wurde damals seitens des Headquarters der US Army Europe und Africa gegenüber OB Gert Uwe Mende dementiert. Die Frage, von wo aus dieses mobile Mittelstreckensystem gesteuert werden soll, wurde jedoch nicht beantwortet.

Mittlerweile wissen wir, dass diese Waffen nicht in Wiesbaden stationiert werden sollen, hier befindet sich jedoch bei der MDTF die Kommandozentrale für diese Waffen.

Es handelt sich sehr weitreichende Waffen, die wie Dark Eagle von Deutschland aus Ziele in Russland bis in den Ural erreichen können. Es handelt sich um Angriffswaffen, auch wenn sie nicht mit Atomsprengköpfen bestückt werden sollen, wie immer wieder betont wird. Sie sollen der „Abschreckung“ dienen.

Ein gewagtes Konzept mit großen Risiken für Deutschland und insbesondere Wiesbaden als Sitz der Kommandozentrale für diese Waffen. Umso mehr verwundert es, dass eine so weitreichende Entscheidung ohne jede Beteiligung des Bundestags, aber auch des Landes Hessen und der Kommune Wiesbaden gefällt wurde.

 

Auf Offensivwaffen setzen ist brandgefährlich!

Die Linke Stadtfraktion hat schon am 15. Juli 2024 eine Erklärung abgegeben, in der sie davor warnt, dass die Stationierung von Mittel- und Langstreckenwaffen Wiesbaden zum Angriffsziel machen würde. „Hier handelt es sich eindeutig um Angriffswaffen, die mit atomaren Sprengköpfen bestückt werden können. Der militärische Gegner, in diesem Fall die Russische Föderation, soll seinerseits von einem atomaren Angriff abgeschreckt werden. Der Unterschied zu den Zeiten des Kalten Krieges besteht darin, dass es derzeit bereits einen heißen Krieg in der Ukraine gibt. In dieser Situation auf Abschreckung durch atomare Offensivwaffen zu setzen, ist brandgefährlich“, heißt es in der Erklärung.

Man darf nicht vergessen: Auch wenn immer wieder betont wird, es handele sich ja nicht um Atomwaffen, wird eine Stationierung von Langstreckenwaffen, die Moskau erreichen könnten, die russische Seite motivieren, ihrerseits die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen zu senken. Die russische Atomdoktrin ist 2024 dahingehend geändert worden, dass bereits die Gefährdung russischer Interessen den Einsatz von Atomwaffen legitimieren soll. Es fehlt nicht an Drohungen mit Atomschlägen gegen westliche Staaten seitens des stellvertretenden Leiters des Sicherheitsrates der russischen Föderation, Dmitri Medwedew, als auch von Putin selbst.

 

Anfragen der Linken Stadtfraktion

Im September 2024 stellte die Linke Stadtfraktion einen Antrag an die StVV, die Stationierung von landgestützten US-Langstreckenwaffen in Deutschland mit der Kommandozentrale in Wiesbaden als auch ein Nato-Hauptquartier in Wiesbaden-Erbenheim abzulehnen. Der Antrag enthielt weitere Berichtsanfragen in Bezug auf die Planungshoheit der Stadt und auf Informations- und Beteiligungsrechte und darauf, wie die Sicherheit der Bevölkerung in Anbetracht der Stationierung zu gewährleisten und zu gestalten wäre. Dieser Antrag wurde erstmal abgelehnt. Die Grünen hatten die Abstimmung freigegeben, so dass einige von ihnen mit Ja oder Enthaltung stimmten. In der Fragestunde der STVV vom 21. November 2024 stellte ich dann meine Fragen, die ich etwas präzisiert und erweitert hatte. Diesmal bekam ich eine ausführliche Antwort von OB Mende: In Wiesbaden sind ca. 20000 US-Militärangehörige stationiert. Die Planungshoheit der Stadt ist von den Stationierungsplänen nicht betroffen, da keine Umbauten und andere baulichen Arbeiten durchgeführt wurden. Es sei davon auszugehen, dass ausreichende räumliche Kapazitäten vorhanden sind, weshalb auch Anhörungs- und Beteiligungsrechte der Landeshauptstadt Wiesbaden nicht geltend gemacht werden könnten.

OB Mende betont, dass er sich eine „proaktive Information“ der Bevölkerung

durch die NATO gewünscht hätte. Er bzw. die LH Wiesbaden könne dies mangels

ausreichender eigener Informationen jedoch nicht übernehmen.

 

Wiesbaden geschützt durch US Hauptquartier?

Seitens der anderen Fraktionen hört man häufig die Meinung, Wiesbaden sei allein durch die Anwesenheit des US-Hauptquartiers vor feindlichen Angriffen besonders geschützt. Diese Auffassung entbehrt jedoch der Logik: Wenn man einerseits Waffen stationieren will, die auf feindliche Kommandozentralen zielen, um sie zu zerstören, wie soll man dann glauben, dass die Gegenseite nicht die gleichen Absichten verfolgt?

Auch dies ergab die Antwort des OB: Es gibt in der Stadt wie im übrigen Deutschland keine Schutzeinrichtungen für die Bevölkerung. Es ist auch nichts bekannt über Raketenabwehranlagen beim US Headquarter. Europa ist also wieder in Gefahr, zum Austragungsort militärischer Auseinandersetzungen zu werden, allerdings ohne einen „Iron Dome“ zu besitzen. In dieser Situation auf Abschreckung durch atomar bestückbare Offensivwaffen zu setzen, ist brandgefährlich. Die Situation ist jetzt noch verschärft durch einen designierten US-Verteidigungsminister, an dessen Kompetenz größte Zweifel angebracht sind, und einem unberechenbaren amerikanischen Präsidenten dem es um die größtmögliche Machtentfaltung für sein Land bei Verlagerung der Risiken auf andere Weltgegenden geht. Das Doppelgesicht der „Schutzmacht“ tritt nun in aller Schärfe hervor.

Es wäre jetzt Sache der Diskussion, wie diesen Gefahren zu begegnen ist.

Anders als im „Kalten Krieg“ der 1970er und 1980er Jahre gibt es eine reale Bedrohungssituation, die man zur Kenntnis nehmen sollte. Die Frage ist, wie man ihr begegnet: Ob man mit immer weiterer Aufrüstung, dem Drehen an der Rüstungsspirale, Frieden und Sicherheit für Europa erreichen wird, ist in Zweifel zu ziehen.

 

Wahlprogramm der Linken: Perspektive für ein friedliches Europa

Im Bundestagswahlprogramm der Linken wird eine Perspektive für ein friedliches Europa entworfen.

Ziel ist,  die weltweite Spirale von Aufrüstung und Konfrontation durchbrechen. Das drohende Wettrüsten und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen führen nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit für die Menschen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Die Linke ist für die Wiederaufnahme von Verhandlungen über eine Rüstungskontrolle. Eine Kontaktgruppe soll überhaupt erstmal Gesprächsmöglichkeiten sondieren.

Die Linke strebt eine kooperative Sicherheitspolitik in Europa an. Kein Kalter Krieg 2.0, sondern eine OSZE 2.0, das ist die Vision eines friedlichen Europas. Eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur für Europa soll die NATO mittelfristig ersetzen. Langfristig könnte sie auch Russland und die Türkei miteinbeziehen – Voraussetzung wäre die Beendigung aller Angriffskriege.

Die Linke ist für einen Strategiewechsel im Krieg gegen die Ukraine: Statt immer mehr Waffenlieferungen sollte endlich eine gemeinsame Initiative der Bundesregierung und der EU mit China, Brasilien und anderen Staaten des globalen Südens ergriffen werden, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Dabei können gezielte Sanktionen, die direkt auf die Kriegskasse des Kreml zielen – und nicht gegen die russische Bevölkerung gerichtet sind –, ein wichtiges Druckmittel für einen gerechten Frieden für die Ukraine sein. Auch gezielte Sanktionen gegen Personen, die sich direkt oder indirekt an Kriegsverbrechen beteiligt haben, können dabei helfen, diplomatischen Druck für Verhandlungen aufzubauen. 3)

 

Redebeitrag, Brigitte Forßbohm, Podiumsdiskussion „Mittelstreckenraketen für Wiesbaden?" am 23.1.2024, Roter Salon, Büdingenstraße, Wiesbaden.

 

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1)     „Die 2. MDTF ist für Europa und Afrika vorgesehen. Einzelne Elemente sollen im Frieden sowohl in den USA (Fort Drum/New York St.) als auch in Europa (Wiesbaden/Deutschland) stationiert werden und schnell verlegbar bleiben. Am 13. April 2021 kündigte die U.S. Army an, Teile der 2. MDTF in Deutschland zu stationieren. Am 16. September 2021 wurde sie mit vorausdislozierten Kräften in der Clay-Kaserne in Wiesbaden aktiviert. Sie umfassten den Führungsstab und Teile des „Multi-Domain Effects“ Bataillons sowie des Brigade-Unterstützungsbataillons, aber bisher noch keine Raketeneinheiten (...) Dieser Sachstand scheint nach der deutsch-amerikanischen Erklärung vom 10. Juli 2024 überholt zu sein. Die 2. MDTF soll die volle Operationsfähigkeit im Finanzjahr 2025 herstellen und 2026 mit kompletten und separaten Long-Range Fires und taktischen Feuerunterstützungsbataillonen ausgestattet sein. Über wie viele Feuereinheiten sie hierzulande 2026 verfügen wird, ist bisher öffentlich nicht bekannt.” Wolfgang Richter, Stationierung von US Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Friedrich-Ebert-Stiftung, Juli 2024.

 

2)    Christopher Steinmetz, Herbert Wulf, Alexander Lurz. Wann ist genug genug? – Ein Vergleich der militärischen Potenziale der Nato und Russlands. Hamburg 2024.

3)  https://www.die-linke.de/fileadmin/1_Partei/parteitage/Au%C3%9Ferordentlicher_Parteitag_25/Wahlprogramm_Entwurf.pdf

 

 

Foto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:56th_Artillery_Command_reactivates_at_ceremony_on_Clay_Kaserne_(6963562).jpg?uselang=deMaj. Gen. Stephen Maranian assumes command of the 56th Artillery Command from U.S. Army Europe and Africa Commander Gen. Christopher Cavoli during a reactivation ceremony on U.S. Army Garrison Wiesbaden, Nov. 8, 2021. The 56th Artillery Command colors bear campaign streamers earned in World War II. (U.S. Army photo by Pfc. Theodosius Santalov) U.S. Army photo by Pfc. Theodosius Santalov - This image was released by the United States Army with the ID 211108-A-YN770-006 (next).

 


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