Aus: Stadtlexikon Wiesbaden
Der Wiesbadener Dialekt gehört zum südhessischen Dialektraum. Aufgrund der Sozialstruktur Wiesbadens, das als Kurstadt vor allem im letzten Drittel des 19. Jh.s eine starke Zuwanderung bürgerlicher und wohlhabender Schichten zu verzeichnen hatte, sowie der weiteren Entwicklung der Stadt als Beamten- und Dienstleistungsstadt, ist die Dialekt sprechende Gruppe relativ klein, aber in allen sozialen Schichten vertreten.
Worschtphilipp un Dibbegugger
Zeichnung von Ferdinand Nitzsche aus den Jahren 1897-1899
In: Die Wäsch-Bitt von Franz Bossong. Wiesbaden 1998.
Nach Günther Leicher (1923‒2010) können Wiesbadener Bürger hinsichtlich ihrer Dialektnähe bzw. -ferne schon danach unterschieden werden, wie sie den Namen der Stadt aussprechen. Alteingesessene
Wiesbadener bezeichnen sich als „Wissbadner“, als „Wiesbaadener“ dagegen, also mit der Betonung auf der drittletzten Silbe, bezeichnen sich vornehme, meist aus dem Norden und Nordosten
Deutschlands Zugewanderte. Dazwischen liegen die „Wiesbadener“, die eine zwischen Dialekt und Hochdeutsch neutrale Position einnehmen.
Der Wiesbadener Dialekt unterscheidet sich als nassauische Variante deutlich von den anderen südhessischen Dialekten, die in Mainz, Frankfurt a. M. oder Darmstadt gesprochen werden.
Verschiedene Merkmale zeichnen den Dialekt aus. Buchstaben am Wortende werden gerne verschluckt, vor allem bei Verben. So heißt es „lache“ statt lachen, „esse“ statt essen usw. Im Wortinnern wird
das „r“ ausgelassen, aus dem Namen Karl wird so „Kall“. Aus „st“ und „sp“ wird ein stimmhaftes „sch“ mit einem weichen Konsonanten, z. B. „schbizz“ für spitz und „schdolbern“ für stolpern. Ch
oder g, vor allem am Wortende, wird zu sch, „goldisch“ für goldig, „ferschderlisch“ für fürchterlich, „Grieschisch Kabell“ für Griechische Kapelle usw. Ei und au werden oft zu einem lang
gezogenen aa, z. B. „Staa“ für Stein, „aaner“ für einer, „aach“ für auch. Harte Konsonanten werden zu weichen, aus t wird d, aus p wird b, z. B. „Budding“ statt Pudding; dazu werden Vokale oft
gestreckt, so wird aus Schokolade „Schoggelaad“.
Dazu kommen zahlreiche Begriffe, die diesem Dialekt eigen sind wie „Hackesjer“ für die ersten Kinderzähne, „Hannebambel“ für einen Mann der unterm Pantoffel steht, „Zores“ für die städtische
Unterschicht und Redewendungen wie „Bass emo uff“ für die Aufforderung an den Gesprächspartner, einem Aspekt der Ausführungen des Redenden mit besonderer Aufmerksamkeit zu folgen. (Günther
Leicher). Typisch ist auch eine Neigung zu tautologischen Wendungen wie „e Fläschje Flaschebier“ für eine Flasche Bier oder „Schiffschebootsche“ für ein kleines Passagierschiff wie die „Tamara“,
die zwischen Schierstein und der Rettbergsaue verkehrt.
Der Wiesbadener Mundartdichter Franz Bossong widmete sich der Pflege und Überlieferung der Sprache der alteingesessenen Bürger. Er versuchte mit seinen Gedichten und Anekdoten in Mundart dem
Dialekt im wilhelminischen Wiesbaden ein Forum zu geben, ihn im gesellschaftlichen Leben der Stadt zu etablieren und ihn auch den Hochdeutsch sprechenden Zugezogenen nahe zu bringen. Dem diente
die Wäsch-Bitt, eine satirische Zeitung mit vielen Mundartbeiträgen, die in den Jahren 1897 bis 1900 erschien. Bossong selbst hat eine Sprachvariante gefunden, die einerseits möglichst viel
Typisches an Ausdruck und Wendungen des altwiesbadener Dialekts enthält, dabei aber den Hochdeutsch sprechenden Zugewanderten noch verständlich sein konnte.
Die Mundartbeiträge in der Wäsch-Bitt berühren verschiedene Themenbereiche. Oft handelt es sich um karnevalistische Büttenreden, die Vorgänge in der Stadt Wiesbaden, im Bauwesen und in der
Kommunalpolitik thematisieren. Die Umbruchssituation, in der sich Wiesbaden am Ende des 19. Jahrhunderts befand, und die Verunsicherung, die sie auslöste, kommen in humoristischen Gedichten wie
„Der Unnergang de Welt“ zum Ausdruck.
Bossong gibt auch einige humoristische Begebenheiten über das Verhältnis zwischen Bauern und Landesherren im Herzogtum Nassau wieder. „Die Erfrischung“ handelt z.B. davon, wie die Bauern in einem
kleinen Dorf im Taunus mangels einer Badewanne den Herzog mit der Feuerspritze traktieren. Vor allem zu Weihnachten, Neujahr und den Jahreszeiten schrieb Bossong heitere und besinnliche
Mundartgedichte mit ansprechenden Lautmalereien.
Im 20. Jh. wurde die Mundartdichtung in Wiesbaden stark geprägt durch den in Naurod bei Wiesbaden gebürtigen Rudolf Dietz. Er publizierte seine Gedichtbände im Selbstverlag von 1900 bis 1938. Um
1900 widmete sich der Wiesbadener Sprachverein unter dem Ehrenvorsitz Konrad Dudens auch der Pflege der nassauischen Mundart. Großen Publikumserfolg hatte das in Nordenstadt spielende Liederspiel
von Dietz „Die Nassauische Spinnstube“, vertont von August Thomae und Franz Aletter, das unter der Spielleitung von Max Adriano 1922 fünf Aufführungen in Wiesbaden und danach noch 50 weitere
Aufführungen im Nassauer Land und darüber hinaus erlebte.
Die erste Gesamtausgabe der Gedichte von Dietz erschien 1925 unter dem Titel „Du liebe Heimat“, die zweite 1938 unter dem gleichen mit dem Untertitel „Tausend und ein Gedicht in Nassauischer
Mundart“. Für die Gesamtausgabe von 1925 schrieb Ludwig Linkenbach, Redakteur des „Mainzer Journal“ und Freund von Dietz die Einleitung. Er würdigt dort das Verdienst des Heimatdichters, „einen
großen Schatz ... charakteristischer Worte, Ausdrücke, und Redensarten in ihrer unmittelbaren Beziehung zum pulsierenden Volksleben“ zusammengetragen zu haben. Er charakterisierte im Weiteren
Dietz’ Werk als „echte Heimatkunst“.
Die über 1000 Gedichte in nassauischer Mundart geben meist anekdotische Begebenheiten in vorwiegend ländlichen Milieus in der Umgebung der Stadt wieder. Sprachlich weicht Dietz von der ländlichen
nassauischen Mundart ab, wenn Pfarrer, Lehrer oder andere Standespersonen auftreten, die „Missingsch“ sprachen, eine gemilderte, dem Hochdeutschen angepasste Mundart (Linkenbach).
In den Dichtungen von Dietz treten Züge einer nationalkonservativen, völkischen Ideologie immer wieder hervor, z. B. in den Versen „Deutschland“, wo die Überhöhung des „Vadderlands“ in die
Sehnsucht nach einem „Kerl, der uns recht fest zesammebänd“ mündet. Später bejubelt Dietz die „deutsche Einheit“ – mit Einschluss Österreichs – unterm Hakenkreuz. Etwa 30 in seinem Werk
verstreute Gedichte enthalten antisemitische Klischees.
1975 wurden „Die schönsten Gedichte in Nassauischer Mundart von Rudolf Dietz“ sowie „Deham is Deham“ und 1987 „Lustige Leut“ neu aufgelegt, beide mit einer Einführung seiner Tochter, Marguerite
Dietz, die dort die Ausführungen Linkenbachs zur Ausgabe von 1925 ohne kritische Distanz aufgreift und zitiert. Diese Ausgaben enthalten nur harmlose Anekdoten aus der ländlichen Bevölkerung und
keine Gedichte, die heute politischen Anstoß erregen könnten.
Zurzeit hat mehr als ein Drittel der Stadtbevölkerung Wiesbadens (Stand 2015) einen Migrationshintergrund. Im 19. Jh. wurde die Wiesbadener Oberschicht zwar von dialektfernen wohlhabenden Zugezogenen geprägt, der Dialekt blieb jedoch in der Unterschicht durch den Zuzug von Arbeitskräften aus den nassauischen Dialekträumen des Taunus und Westerwalds als auch aus dem Rheinhessischen fest verankert. Dies begünstigte in den Bildungsschichten die Auffassung, Dialekt sei eine Unterschichtensprache, die in den höheren Bildungseinrichtungen und im gesellschaftlichen Leben nichts zu suchen habe. Die seit Ende des Zweiten Weltkriegs nach Wiesbaden Zugezogenen kamen aus weit entfernten Gegenden Deutschlands ohne jeden Bezug zum nassauischen Dialekt, die späteren Arbeitsmigranten aus dem südlichen Europa und aus der Türkei aus fremdsprachlichen Gebieten. Konnte man bis in die 1970er-Jahre beobachten, wie Migranten durch den Kontakt mit einheimischen Arbeitskollegen und Nachbarn mitunter Dialekt annahmen, scheint es, dass etwa seit Ende der 1980er-Jahre die jüngeren Generationen mit Migrationshintergrund eher eine eigene Jugendsprache mit teilweise fremdsprachlichen Akzenten, aber ohne Dialekt entwickeln.
Da der Dialekt heute weniger denn je in der Unterschicht gesprochen wird, hat er auch den Ruf als „Unterschichtenspache“ verloren. Er gilt als humorvoll und witzig. Gesprochen wird Dialekt
weiterhin in eingesessenen Wiesbadener Familien. Im gesellschaftlichen Leben hat der Dialekt vor allem im Karneval seinen festen Platz. Aber auch in der Wiesbadener Presse gibt es regelmäßig
Dialektbeiträge. Besonders verdient gemacht um die Erhaltung und Vermittlung des Wiesbadener Dialekts in die heutige Zeit hat sich Günther Leicher mit seinem „Wissbadner Wödderbuch“ und mit
seiner bis zu seinem Tode fortgeführten Kolumne des „Schorsch vom Michelsberch“ im Wiesbadener Tagblatt.
In der ländlichen Umgebung Wiesbadens trifft man den nassauischen Dialekt häufiger an. Rudolf Dietz und sein Werk ist bei der mehrheitlich konservativen Bevölkerung einiger östlicher Vororte
Wiesbadens, besonders in seinem Geburtsort Naurod, nach wie vor populär.
Brigitte Forßbohm
Literatur:
Die Wäsch-Bitt von Franz Bossong. Heiteres und Satirisches aus dem alten Wiesbaden, Wiesbaden 1998.
Leicher, Günther: Wissbadner Wödderbuch. Mainz 1994.
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