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Biedermann und Brandstifter

Langfassung des Artikels Fetisch ziviler Ungehorsam im Neuen Deutschland (nd) vom 1.7.2015

von Brigitte Forßbohm

 

Zur Vorgeschichte

2012 rief ein Bündnis antikapitalistischer, anarchistischer und linksradikaler Gruppierungen unter dem Namen M31 zu einem „Aktionstag gegen den Kapitalismus“ und die autoritäre Krisenpolitik der EU mit internationaler Beteiligung zum 31. März 2012 in Frankfurt am Main auf. Kern des Bündnisses waren regionale Einheiten der anarchistischen Freien Arbeiterinnen und Arbeiter-Union (FAU) und autonome Antifa-Gruppen. Es beteiligten sich auch regionale Gruppen der Jungendorganisation solid und einige Studentenorganisationen der Partei DIE LINKE. Etwa 4000-6000 DemonstrantInnen folgten dem Aufruf von M 31. Während der Demonstration kam es zu schweren Ausschreitungen in der Frankfurter Innenstadt. Die Polizei war überrascht von der Militanz und Aggressivität der Demonstranten und entsprechend unvorbereitet. Es kam zu ca. 480 Festnahmen. Ein Polizist wurde schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte danach unter ca. 400 meist Jugendlichen aus Frankfurt am Main und Umgebung.

Das Blockupy-Bündnis, dem im Kern die Interventionistische Linke (IL), attac, No Troika, die Partei DIE LINKE., linksradikale Gruppen wie Ums Ganze, die Frankfurter Autonome Antifa, sowie an die hundert weitere Gruppen, darunter Hochschulgruppen der Jusos, Gruppen der Grünen Jugend und einige Jugendgruppen der DGB-Gewerkschaften angehörten, hatte im gleichen Jahr, wenig später, zu „Blockupy Frankfurt – Europäische Aktionstage 16.-19. Mai – besetzen#blockieren#demonstrieren“ gegen das Krisenregime der Europäischen Union aufgerufen. Unter dem Eindruck der Krawalle bei M 31 wurden die meisten der geplanten Veranstaltungen und Aktionen jedoch verboten. Viele an M 31 beteiligte Jugendliche standen unter polizeilicher Aufsicht und durften die Stadt Frankfurt am Main in diesen Tagen nicht betreten. An der genehmigten Demonstration am Samstag, den 19. Mai 2012, nahmen dann trotz der Behinderungen ca. 20000 Menschen teil.

 

M 31 hatte eine massive Aufrüstung der Polizei zur Folge, die Blockupy 2012 und auch im folgenden Jahr 2013 zu spüren bekam, als mehrere Hundert Demonstranten ohne ersichtlichen Grund über neun Stunden in einem Polizeikessel festgehalten wurden, was zum Abbruch der Demonstration führte.

 

Beide letztendlich friedlich verlaufenen Blockupy-Veranstaltungen 2012 und 2013 hatten wegen Einschränkungen demokratischer Grundrechte und polizeilicher Übergriffe lange politische und juristische Auseinandersetzungen zur Folge.


Blockupy 2015


Anlass der Blockupy-Aktionen 2015 war die Eröffnung des 1,4 Mrd. Euro schweren Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) am 18. März 2015 in Frankfurt am Main. Im Aufruf unter dem Titel „Let’s Take Over The Party“ steht die EZB im Mittelpunkt der Kritik. Sie wird verantwortlich gemacht für „brutale Kürzungen, für wachsende Erwerbslosigkeit und den Zusammenbruch des Gesundheitssystems in Griechenland und anderen EU-Staaten. Die „Party“ soll in einen Ausdruck des „transnationalen Widerstands gegen die europäische Krisenpolitik und gegen deren katastrophale Konsequenzen besonders für die Menschen im europäischen Süden“ verwandelt werden.

In Deutschland wird eine der treibenden Kräfte hinter dieser Spar- und Austeritätspolitik ausgemacht, gewissermaßen „das Herz der Bestie und das relativ ruhige Auge des Sturms“.

Es wird aufgerufen zur „ungehorsame(n) Massenaktion“ am Tag der EZB-Eröffnung, mit einer „Vielzahl von Demonstrationen, Blockaden und anderen Aktionen darum herum.“

Ziel war am Vormittag des 18. März 2015 „eine effektive Blockade der EZB, ihrer Alltagsarbeit und der Eröffnungsfeier.“ Man wollte gemeinsam mit Aktiven aus europaweiten Netzwerken, Organisationen und Gruppen, so nah wie möglich an die EZB herangehen und deren MitarbeiterInnen daran hindern, das Gebäude zu betreten. Die angekündigten Aktionsformen sollten Massenblockaden, Sitz- und Stehblockaden sein, begleitet von Straßentheater, Trommelgruppen und „thematischen Gegenständen unseres Widerstands“, um alle Zugänge zur EZB dicht zu machen.

Die angekündigten Aktionen durchbrachen im Sinne des „zivilen Ungehorsams“ bewusst die Grenze des Legalen. Auch aufgrund der Diktion des Aufrufs („Im Herz der Bestie ... das Event der Macht unterbrechen“) dürfte klar gewesen sein, dass die Folge ein großes Polizeiaufgebot zum Schutz der EZB und der – schon reichlich abgespeckten – Eröffnungsfeier mit internationaler Politikerprominenz sein würde.

Im Aktionskonsens des Bündnisses heißt es: „Von uns wird keine Eskalation ausgehen“. Dieser Satz wird als Bekenntnis zu gewaltfreier Aktion gedeutet. Im Weiteren erklärt sich das Bündnis im Aktionskonsens – ohne Einschränkung – „solidarisch mit allen, die unsere Ziele teilen, gegen das autoritäre Krisenmanagement und die Troika-Politik Widerstand zu leisten.“ Gerade dieser Satz, der die „Solidarität“ des Bündnisses allen zusichert, gleich welche Mitteln des „Widerstands“ zur Anwendung kommen, sollte bei der späteren Beurteilung der Ausschreitungen durch Sprecher des Bündnisses Bedeutung erlangen.

 

Die ultralinke militante Szene vor M 18  2015

 

Es gab neben dem Blockupy-Aufruf einen weiteren Aufruf des M 18 Bündnisses "Face the players, fight the game, M18: Let´s crash the Opening-Party of the ECB.

Unter den Unterstützern sind deutsche und internationale Gruppen, die schon 2012 bei M 31  dabei waren wie die FAU sowie Autonome- und Antifa-Gruppen. Mit von der Partie ist auch das Bündnis „linksradikaler und kommunistischer Gruppen“ Ums Ganze, dem der Sprecher des Blockupy-Bündnisses, Frederic Wester, angehört.

Auch Ums Ganze hat einen eigenen Aufruf zu Blockupy verfasst, diesen und auch den internationalen Aufruf von M 18 auf seiner Homepage verbreitet.

Bei M 18 handelt es sich im Großen und Ganzen um dieselben Gruppierungen die 2012 zu M 31 aufgerufen hatten. Dass die der ersten Blockupy-Veranstaltung vorausgegangene M 31 Aktion mit ihren gewalttätigen Ausschreitungen eine massive Aufrüstung der Polizei zur Folge hatte und damit die Bedingungen für die folgenden Blockupy-Aktionstage 2012 und 2013 damit erschwerte, ist heute weitgehend unumstritten.

Das auf seine Kernorganisationen – Autonome und FAU – nun zurückgeworfene Nachfolgebündnis von M 31, M18, hat diesmal also nicht zu einem eigenen Termin aufgerufen, sondern sich mit Unterstützung des Blockupy-Bündnispartners Ums Ganze direkt in die Blockupy-Aktion integriert. Den Aufrufen, der Facebook- und Twitter-Seite von M 18 sind die Treffpunkte für die militanten Aktionen am frühen Morgen des 18. März als auch die Zielsetzungen zu entnehmen. Dort die Rede von der eigenen „Party“, dass man die „die EZB-Einweihung zum Desaster“ machen wolle. Die Formulierungen und Mobi-Videos lassen keinen Zweifel an der Militanz der geplanten Aktionen, zu denen international in mehreren Sprachen aufgerufen wurde.

Am Morgen des 18. März wurde ein „Finger“ der von verschiedenen Richtungen zur EZB-Blockade hin strebenden Gruppen okkupiert. Mit Eisenhämmern, Stangen und Brandsätzen ausgestattet, bewegte sich ein Zug von etwa 400 gewalttägigen Akteuren in Richtung Innenstadt, setzte Autos und Mülltonnen in Brand, zerschlug Bushaltestellen und Schaufensterscheiben, hinderte Sanitäter und Feuerwehrleute an der Arbeit, griff schließlich das 1. Polizeirevier an und warf Brandsätze auch auf bemannte Polizeiwagen. Darüber, wer die vermummten Täter waren, gibt es nur Mutmaßungen. Die einen wollen deutliche Hinweise haben, dass es sich um agents provocateurs handelte, andere vermuten Demonstranten aus anderen EU-Staaten. Die Randale am frühen Morgen des 18. März war jedoch bestens organisiert und zeugte von genauer Ortskenntnis, was für eine Beteiligung von ortsansässigen Akteuren spricht. Mittlerweile gibt es Bekenntisse aus der ultralinken Szene.

 

Reaktionen auf die Krawalle am Morgen des 18. März

 

Blockupy-Sprecher Frederic Wester vom Ums Ganze findet im Interview mit Cicero am 18. März, es sei klar, dass Formen sozialer Ungleichheit zu sozialen Unruhen führen. Autonome und Antifa, in deren Kreisen die Randalierer vermutet werden, könne man nicht rausschmeißen. Sie seien Teil des Bündnisses und das sei auch gut so. „Wir haben von Anfang an gesagt, uns geht es nicht darum, in der Hauptsache irgendwas Friedliches zu machen, was im Rahmen der Straßenverkehrsordnung abläuft. (...) Wir wollen den Normalbetrieb im Krisenregime unterbrechen mit gewissen Formen des zivilen Ungehorsams. Wir wollen aber nicht, dass von unserer Seite eine Eskalation ausgeht.“

Auf der Website von Ums Ganze kommt M 18-Sprecherin Lea Solmstroem zu Wort. Sie rechtfertigt die Aktionen ohne Wenn und Aber:

„Wir haben Menschen aus ganz Europa eingeladen, um ihren Frust und ihre Wut nach Frankfurt zu tragen. Die EZB, die in den letzten Jahren maßgeblich an der Verschlechterung der Lebensbedingungen so vieler Menschen in Europa beteiligt war, ist eine der Auslöser und die richtige Adressatin dieser Wut.“

Mit Mitteln zivilen Ungehorsams, Blockaden, aber auch „militanten Aktionen gegen staatliche Einrichtungen, Banken, Polizei und andere Orte des kapitalistischen Alltags haben Aktivist_innen aus ganz Europa in Frankfurt ein unmissverständliches Signal gesetzt.“ Dass dabei auch Wohnhäuser und eine Unterkunft von minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen beschädigt wurde, bedauerte Solmstroem.

 

Ines Wallrodt fand im Neuen Deutschland vom 21.3.2015 im Hinblick auf die militanten Aufrufe der Autonomen im Vorfeld die Randale „nicht ganz überraschend“ und fragte den Vertreter der IL, Martin Schmalzbauer, nach dem Einfluss auf diese Gruppen.

Nach Schmalzbauer stammten die Aufrufe „von Gruppen außerhalb des Bündnisses, und die tun eben, was sie wollen.“ Die IL habe keinen Einfluss darauf. Schmalzbauer wertet im Weiteren die Randale zu „sozialem Widerstand“ auf, gesteht den militanten Akteuren zu, die politischen Ziele des Bündnisses zu teilen und leitet daraus deren Anspruch auf Solidarität ab, der im Übrigen im Aktionskonsens verankert sei.


Die PolitikerInnen der LINKEN waren entsetzt und sagten dies auch. Der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus sah am Mittag des 18. März das Konzept vom friedlichen Protest gescheitert: „Gewalttäter bringen Blockupy und seine Anliegen in Misskredit.“ Gewalt gegen Sachen und Menschen sei durch nichts zu rechtfertigen. Janine Wissler bezog sich auf den Aktionskonsens , nach dem friedlich demonstriert werden sollte, und bedauerte, dass sich nicht alle daran hielten.

 

Bis zum Abend des 18. März, vor allem nach der friedlich verlaufenen Demonstration von ca. 20.000 Menschen am späten Nachmittag hatten sich die LINKEN von dem Schrecken einigermaßen erholt. Sie verurteilten nach wie vor die Ausschreitungen, distanzierten sich von den Gewalttätern, stellten das Blockupy-Bündnis als solches jedoch nicht in Frage. Die Randalierer stünden außerhalb des Aktionskonsens, auf den man sich offenbar verlassen hatte. Sie seien vom Blockupy-Bündnis nicht erreichbar. Nun ist es den anderen im Landtag und im Römer vertretenen Parteien nicht entgangen, dass aus der Mitte des Blockupy-Bündnisses durchaus Töne zu hören sind, die von Verständnis für „Wut“ und „Empörung“ – so auch der Landtagsabgeordnete der LINKEN und Landtagsvizepräsident Ulrich Wilken – bis zur Duldung und Rechtfertigung der militanten Aktionen reichen. Unverdrossen erklärte das Bündnis am 20.3., es mache weiter, der 18.3.2015 sei erst der Anfang gewesen. Es kündigte an, „die Erfahrungen und Geschehnisse des 18. März sorgfältig auszuwerten und Konsequenzen für zukünftige Aktionen in der Bewegung zu beraten.“ Dabei setze das Bündnis auf die Solidarität, die Kommunikation und die Selbstorganisation der Aktivistinnen und Aktivisten statt auf die oft geforderte „Distanzierung“.

Von den LINKEN erwarteten die anderen Parteien nicht nur einen Distanzierung von den Ausschreitungen am Morgen des 18.3. als solche, sondern auch vom Blockupy-Bündnis und von den dort vertretenen Gruppen, die ihrerseits keine Anstalten machten, sich von den Gewalttätern zu distanzieren. Da weder die Fraktion im Hessischen Landtag, noch der Landesvorstand der Linken diesen Erwartungen nachkamen, wurde Die LINKE durchweg als unglaubwürdig und politisch unzuverlässig bezeichnet und in der Folge Zielscheibe der Angriffe der CDU, aber auch von Grünen und SPD im Hessischen Landtag und im Frankfurter Römer. Man schob ihr und vor allem Ulrich Wilken, dem Vertreter der LINKEN im Blockupy-Bündnis und Anmelder der friedlich verlaufenen Demonstration am Nachmittag des 18.3. Mitverantwortung für die schweren Ausschreitungen zu. Wilken wies dies von sich mit dem Einwand, er sei lediglich Anmelder der friedlich verlaufenen Demonstration am Nachmittag gewesen.

 

Nachdenken über Blockupy

 

Bei einer Diskussionsveranstaltung „Nachdenken über Blockupy“ am 10. April 2015 zu der die Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen in Frankfurt am Main eingeladen hatte, gaben eine Vertreterin und ein Vertreter der Interventionistischen Linken (IL) Aufschlüsse über die interne Beurteilung der Vorgänge am 18. März. Die namentlich nicht Genannten werteten Blockupy 2015 als großen Erfolg, als „Sieg für uns“. Blockupy sei als aktives, solidarisches Bündnis, die größte antikapitalistische Bewegung, die in der Lage sei, politische Ereignisse selbst zu setzen, statt den „nächsten Defensivkampf“ abzuwarten. Offensiv verbreite man Zeichen der Unordnung. Man gestalte soziale Prozesse, führe verschiedene Aktionsformen zusammen, kurz: Blockupy sei der Kristallisationspunkt des Widerstands gegen das Krisenregime. In Bezug auf die klare Absage an die herrschende Politik, die man bekämpfe, habe es morgens und nachmittags keine Unterschiede gegeben. Überhaupt werde die Frage der „Gewalt“ falsch gestellt. Es sei das System, das „Krisenregime“, das ständig Gewalt produziere in Form von Demütigungen, der Erzeugung von Ängsten, der Bedrohung und Vernichtung von Existenzen. „Wut’“ sei daher verständlich. In anderen Ländern ginge man mit gewalttägigen Formen des Protests anders um. Die Deutschen seien in dieser Beziehung sehr „dünnhäutig“ und zeigten sich nicht in Lage, solche auszuhalten. Man müsse bedenken, dass der 18.3. Teil eines europäischen Aufbruchs, eines europäischen Protests sei, und den könne man nicht „germanisieren“. Ein Eingreifen gegen militante Demonstranten, ein „Bewegungsmanagement“ lehne man ab, dafür sei das Bündnis nicht zuständig.

 

Elke Steven vom Grundrechtekomitee und Heinrich Fechner von attac Frankfurt verurteilten klar die Ausschreitungen am 18. März 2015, teilen jedoch wie auch die LINKE den Vorbehalt des Bündnisses, Konsequenzen für zukünftige Aktionen „in der Bewegung“ zu beraten.

Für DIE LINKE. wird dies zur Achillesferse im politischen und parlamentarischen Raum. Es stellt sich hier die Frage, ob die Öffentlichkeit nicht durchaus ein Recht darauf hat, die Hintergründe der Ausschreitungen am 18. März zu erfahren und auch, wie sich die einzelnen Bündnispartner hierzu stellen. Gerade eine Partei, die für Transparenz eintritt, sollte diesen Anspruch auch hier einlösen.

Fetisch „ziviler Ungehorsam“


Am 10.05.2015 gab das Blockupy-Bündnis ein Thesenpapier „Ungehorsames Mosaik – Verlässlichkeit und Solidarität“ heraus mit einer – noch nicht abgeschlossenen – Einschätzung der Ereignisse des 18. März als „... ein wichtiger Tag des Protests gegen die Katastrophen der europäischen Verelendungspolitik.“ Es wird eingeräumt, dass die Einschätzungen zum Verlauf des 18. März innerhalb des Bündnisses erheblich auseinandergehen. Man habe sich jedoch „gemeinsam für ein breites linkes, ungehorsames und transnationales Bündnis gegen die Krisenpolitik“ entschieden und wehrt sich gegen „die schlichte Sortierung in ,Militante’ und ,NGOs/Parteien’.“

Blockupy stehe für breiten Protest und massenhaften Ungehorsam, also bündnisfähige und „mosaiklinke“ Aktionen. Als nächste Schritte werden ins Auge gefasst:

 

„Gesellschaftliche Verbreiterung in Tateinheit mit politischer Zuspitzung, das ist unser Ziel mit Blockupy. Dafür wollen wir bündnisfähige, vermittelbare Formen zivilen Ungehorsams, die eine breite Beteiligung auch außerhalb des Bündnisses ermöglichen, die die Regeln des Erlaubten mehr als nur symbolisch übertreten und dadurch starke Bilder schaffen: Menschen brechen Regeln, weil es um Wichtigeres geht.“

Die avisierten Aktionen werden so zum Selbstzweck. Es ist nicht die Analyse nach der politische Ziele bestimmt und zu deren Verwirklichung eine Strategie entwickelt wird, sondern die Bewegung, die Aktion an sich soll zum Politikum werden:

„Ungehorsam polarisiert, führt zu Repression, macht Risse im Beton sichtbar. Er zeigt die Gewalt und Anmaßung der Herrschenden, unsere Lebensverhältnisse und immer die Lebendigkeit unseres Widerstands.“

Nach diesem Konzept erfolgt Politisierung nicht etwa durch Aufklärung, sondern durch Aktion. „Solidarität“ soll durch die gemeinsame Erfahrung von Repression entstehen, die man zu diesem Zweck bewusst herausfordert: „Wir wollen massenhaft auffordern, Grenzen zu überschreiten. (...) Wir üben miteinander ein, ungehorsam zu sein und uns vor Übergriffen zu schützen (...) Vor dem Hintergrund der sozialen Kräfteverhältnisse in diesem Land halten wir unsere gemeinsame politische Entscheidung für bündnisfähigen und vermittelbaren linken Ungehorsam für strategisch richtig und politisch wichtig.“

Der „zivile Ungehorsam“ wird hier zu einem Fetisch für das (vermeintliche) Heraustreten aus einem gesellschaftlichen Kontext. Man will „frech“ und „ungehorsam“ gegenüber einem „Krisenregime“ sein, das den Akteuren im Grunde übermächtig und unüberwindbar gegenübertritt, das Gefühle von Wut und Demütigung auslöst, dem aber mit rationalem Handeln, mit einer von politischen Zielen bestimmten Strategie scheinbar nicht beizukommen ist. Die Akteure begeben sich so im Grunde selbst in eine subalterne Position; sie geben den selbstbewussten Anspruch auf Einspruch, auf Partizipation, auf die Erfüllung ihnen zustehender sozialer Rechte auf – zu deren Erlangung freilich auch Mittel des „zivilen Ungehorsams“ in Frage kämen.

 

In der neueren politischen Bewegung wurde ziviler Ungehorsam in der BRD in den Jahren 1982 bis 1990 bei den Protestaktionen gegen die in Mutlangen stationierten nuklearen Pershing-Raketen und seit 1996 gegen die Castor-Atommüll-Transporte in das Zwischenlager Gorleben öffentlichkeitswirksam praktiziert. In Mutlangen wurde der zivile Ungehorsam in Form von Sitzblockaden, an denen prominente Bürger wie der betagte Schriftsteller Heinrich Böll teilnahmen, symbolisch in den Gegensatz zu militärischen Hierarchien und Gehorsamsstrukturen gesetzt. Bei den Castor-Transporten gelang es mittels Gleisblockaden eine große öffentliche Aufmerksamkeit für die Gefährlichkeit der Atommülltransporte zu erregen. Immer noch aktuell sind oft erfolgreiche Blockaden beim Protest gegen Nazi-Aufmärsche wie kürzlich in Neuruppin. Demgegenüber ist der Symbolgehalt des zivilen Ungehorsams, den Blockupy gegenüber der EZB und dem „Krisenregime“ praktiziert, jedoch nur schwach ausgebildet. Er hat mit dem fehlenden direkten Bezug zum Objekt auch nicht die aufklärerische Qualität. Das Ziel, die Geschäftstätigkeit der EZB auch nur für einen Tag lahmzulegen, indem MitarbeiterInnen von außen abgehalten werden sollen, ihre Arbeitsplätze zu erreichen, lässt sich durch Blockaden kaum erreichen. Es ist zu vermuten, dass am 18. März keine einzige Finanztransaktion durch die Aktionen verhindert worden ist – die Angestellten haben einfach von zu Hause aus gearbeitet. Auch die Eröffnungsparty konnte unter massivem Polizeischutz ungestört stattfinden.

 

Ziviler Ungehorsam als Mittel, losgelöst von klaren, auch kurz- und mittelfristig zu erreichenden Zielen – das könnten beispielsweise die sofortige Behebung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa sowie die Schaffung einheitlicher Sozialstandards in den Staaten der EU sein – wird zum Fetisch ohne emanzipatorischen Gehalt.

Politische Erfolge gegen die Austeritätspolitik sind eher denkbar, wenn aufgeklärte, selbstbewusste, souveräne Bürgerinnen und Bürger Rechte einklagen, die in den Verfassungen der EU-Staaten mehr oder weniger verankert sind und selbst in den Maastricht-Verträgen rudimentär vorkommen. Ein Gegenentwurf zur derzeitigen neoliberalen, soziale Rechte verletzenden Politik der EU könnte beispielsweise ein Wiederaufgreifen der europäischen Sozialcharta sein.

Nur vor dem Hintergrund der Formulierung von in breiten Gesellschaftsschichten konsensfähigen politischen Zielen kann eine Strategie für die Erreichung dieser Ziele entwickelt werden. Das wären am besten abgestimmte Formen inner- und außerparlamentarischen Handelns mit verschiedenen Formen des Protests, auch des zivilen Ungehorsams bis hin zum politischen Streik.

Wird der zivile Ungehorsam jedoch selbst zum Programm, bleiben die Adressaten diffus (Krisenregime, EZB, Banken), wird man vor allem Polizeieinsätze sowie Ausschreitungen auf der Gegenseite provozieren. Es ist jedoch im Interesse derer, die ihre Rechte einfordern, protestieren und Einspruch erheben, dass die Aktionsformen sich im Rahmen der Zivilgesellschaft bewegen, das gilt vor allem auch für die Ordnungskräfte.

Der Verzicht auf die Formulierung konkreter politischer Ziele begünstigt die Fixierung auf die Polizei, der die Rolle der unmittelbaren, Gewalt ausübenden Repräsentation des „Krisenregimes“ zugeschrieben wird. So zeigt sich das Blockupy-Bündnis relativ machtlos gegenüber gewalttätigen Ausschreitungen – zumal ein „Bewegungsmanagement“, beispielsweise eine Isolierung gewaltbereiter Demonstranten, abgelehnt wird. Der von politischen Inhalten fast losgelöste zivile Ungehorsam wird so zum Türöffner für Militante, die sich der vage formulierten Stoßrichtung gegen das „Krisenregime“ entweder anschließen können, sich wie im M 18-Aufruf politische Ziele selbst definieren oder denen das alles einfach egal ist, weil es ihnen vor allem auf Militanz und gerade auf die Sprengung des zivilgesellschaftlichen Rahmens ankommt, gleich ob es sich um politisch Verirrte, agents provocateurs oder wen auch immer handelt.

Nun gibt es Einwände wie seitens des Freitag-Verlegers Jakob Augstein, der meint, die Gewalt des Systems werde anders als die Gewalt der „Protestierenden“ ignoriert, und fragt, ob das „Leben eines griechischen Rentners“ nicht mehr wert sei als ein deutscher Streifenwagen. Die Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Hessischen Landtag, Janine Wissler, setzt im FAZ-Interview vom 16.05.2015 verhungernde Kinder ins Verhältnis zu brennenden Mülltonnen. Solche Argumentationsmuster mögen die eigene Klientel bei der Stange halten, wirklich überzeugend sind sie nicht. Sie sind auch nicht fair; es wird unterstellt, wen die „Gewalt der Protestierenden“ störe, der ignoriere die Gewalt des Systems und wer was gegen brennende Mülltonnen hat, dem seien verhungernde Kinder egal. Das trifft natürlich nicht zu. Solche Relativierungen lassen den emanzipatorischen Anspruch auf politischen Widerstand unberücksichtigt, statt klarzustelllen: Wer die Mimikri des Gegners annimmt, unterscheidet sich wie Elke Steven treffend ausdrückt, in „Gewaltbereitschaft und Rücksichtslosigkeit kaum von der Logik der gegenwärtigen Weltordnung“. Er hat in diesem Protest nichts zu suchen. Von dieser Seite sind keine tragfähigen gesellschaftlichen Gegenentwürfe zu erwarten.

 

Im Thesenpapier „Ungehorsames Mosaik“ heißt es in Bezug auf die Randalierer euphemistisch: „... politische Akteure haben bewusst Orte unserer Aktionen als Bühne für ihre Inszenierungen genutzt (...) Darin sehen wir einen Mangel an Kommunikation und Solidarität.“ Dem „geforderten Ritual der ,Distanzierung’“ verweigern wir uns. Nötig seien „intensivere Gespräche“. In der grundsätzlichen Solidarität unter „Linken“ sieht man eine „unverzichtbare Basis“ für Blockupy als „ungehorsames, transnationales Bündnis“. Voilà!


Die LINKE als Biedermann

 

Der hessische Landesvorstand und die Fraktion der LINKEN im Hessischen Landtag haben sich bisher zwar von den gewalttätigen Ausschreitungen distanziert, nicht jedoch von den Akteuren und den ihnen permissiv gegenüber tretenden Bündnispartnern in Blockupy. Die Partei DIE LINKE ist durch die Ereignisse am 18. März 2015 kompromittiert und in ihrem öffentlichen Ansehen schwer beschädigt worden. Sie bleibt nach eigenem Bekunden vorerst im Blockupy-Bündnis, obwohl nach dessen Verlautbarungen kaum Aussicht bestehen dürfte, militante Akteure von künftigen Aktionen sicher fernzuhalten. Es ist mehr als fraglich, ob sie auf das nette Angebot der Kommunikation und die herangetragene Bitte nach „Solidarität“ eingehen werden.

 

In Max Frischs Drama „Biedermann und Bandstifter“ ist Biedermann überzeugt, die Brandstifter, die unter seinem Dach logieren, seien seine Freunde. Da er ihnen vertraut, steckt er ihnen sogar Streichhölzer zu. Biedermanns Haus geht in Flammen auf. Er und seine Frau landen zu ihrer größten Verwunderung in der Hölle – zusammen mit den Brandstiftern. Dabei haben sie gedacht, sie hätten alles richtig gemacht ...

 

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